S E E L S O R G E
„Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.“
Römer 12,15
Sich einem Menschen anvertrauen können und dabei zu wissen, dass man ohne Gegenleistung immer als Mensch respektiert und angenommen wird – darum geht es in der Seelsorge. In den entscheidenden Situationen menschlichen Lebens ist es eine große Hilfe, dass es Menschen gibt, die für eine tiefpersönliche Situation ihr Ohr und ihr Herz öffnen. Menschen, die ohne zu werten einfach für einen da sind!
„Seelsorge findet nicht nur am Lebensende statt, wir sind mit unseren Gesprächen mittendrin im Leben“
Ein Gespräch mit Pfarrerin Wibke Klomp und Gemeindediakon Oliver Tuscher über ihr Verständnis von Seelsorge, Schweigepflicht und die Kunst, die richtige Distanz zu wahren.
Herr Tuscher, wann haben Sie das letzte Seelsorgegespräch geführt?
Oliver Tuscher: Wenn man die Seelsorge weit fasst, dann gestern. Es müssen nicht immer lange, ausführliche Gespräche sein. Manchmal haben kurze Gespräche, die zwischen Tür und Angel stattfinden, auch seelsorgerlichen Charakter.
Viele Menschen verbinden Seelsorge auto-matisch mit dem Tod…
Wibke Klomp: Bei Beerdigungen wird Seelsorge in erhöhtem Maße wahrgenommen, da es um Trauer geht und Schmerz. Wir erleben oft, dass sich in solchen Situationen Menschen öffnen und sich uns anvertrauen.
Gehen Sie auch aktiv auf Menschen zu?
Klomp: Manchmal ja, wenn es jemandem schlecht geht. Da muss man sich allerdings vorsichtig herantasten. Wenn wir ungefragt vorbeischauen, kann es passieren, dass wir mit dem Satz „Ich sterbe ja noch nicht.“ empfangen werden. Seelsorge findet aber nicht nur am Lebensende statt, wir sind mit unseren Gesprächen mittendrin im Leben.
Welches Bedürfnis haben die Menschen, die das Gespräch mit Ihnen suchen?
Tuscher: Oft ist es der Wunsch, das Herz auszuschütten. Es geht um Sorgen: Beziehungskrisen, Erziehungsfragen, die Gesundheit. Aber auch um Orientierung, gerade bei jüngeren Menschen.
Klomp: Ich habe auch schon mehrere Menschen mit suizidalen Gedanken begleitet, die einfach nicht mehr weiter wussten.
Wie gehen Sie damit um?
Klomp: Wichtig ist es, nicht in Panik auszu-brechen. Wenn jemand so etwas ausspricht, ist er schon sehr reflektiert und sucht Hilfe. Unsere Aufgabe als Seelsorger ist es, zu stärken und zu begleiten. Dazu gehört auch, dass wir Menschen zu anderen professionellen Kräften hinführen. Als Pfarrerin weiß ich um meine eigene Begrenztheit und muss dafür sorgen, dass ich mich nicht Co-abhängig mache.
Kann man so etwas lernen?
Klomp: Wir sind keine ausgebildeten Psycho-logen, aber wir haben eine Seelsorgeausbildung. Wir lernen Gesprächstechniken, Professionalität und die Fähigkeit, eine Distanz zu entwickeln .
Tuscher: Ein wichtiger Punkt in der Ausbildung ist die Schweigepflicht als oberstes Gebot in der Seelsorge. Diese geht mit einer großen Verantwortung einher.
Welche Eigenschaften muss man als Seelsorger mitbringen?
Klomp: Ich denke, dass Seelsorge für jeden möglich ist und eigentlich zur Christenpflicht gehört. Man sollte aber keine Angst vor der Dunkelheit und vor den Tiefen des Lebens haben.
Welche Rolle spielt die Seelsorge in Ihrer täglichen Arbeit?
Tuscher: Seelsorge gehört zu unseren Kernaufgaben. Dennoch ist es manchmal schwierig, diesen Bereich klar zu definieren. Es gibt keine Stundenzahl dafür, es ist selten planbar.
Was geben Ihnen diese Gespräche persönlich?
Tuscher: Es ist eine sehr sinnerfüllende Arbeit. Man geht ein Stück des Weges mit einer Person, einer Familie durch Höhen und Tiefen. Das sind starke Gefühle, die da mitschwingen und den Beruf in ein anderes Licht stellen. Es sind aber auch Themen, die man nicht einfach im Büro lassen kann, die einen umtreiben können.
Klomp: Es ist sehr berührend zu sehen, dass Menschen ihre Fassade fallen lassen, wenn sie spüren, dass es um sie selbst geht. Ich stelle immer wieder aufs Neue fest, dass es nicht auf Geld und Reichtümer ankommt, sondern das Glück der Menschen in gelungenen Beziehungen liegt. Daran arbeiten zu dürfen, ist sehr bereichernd und gibt mir die Kraft, sonntags auf die sehr hohe Kanzel in Walldorf zu steigen und über das Leben zu reden.
Fotos: Christiane Désiré