Punkt 7 am 9. Juli 2023 mit MdB Lars Castellucci

„Diese Diskussion über das Sterben ist eher eine Diskussion über das Leben“

 

Drei Tage war es her, dass im Bundestag ein neuer Anlauf für eine gesetzliche Regelung der Hilfe bei der Selbsttötung gescheitert ist. Trotz großer Zustimmung wurde die erforderliche Mehrheit nicht erreicht.

Bei Punkt 7 konnten wir einen der Initiatoren des Gesetzentwurfs begrüßen: Lars Castellucci, Bundestagsabgeordneter unseres Wahlkreises und stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses. Er hat in einem kompakten, nachdenklichen und zur Diskussion anregenden Vortrag noch einmal klar gemacht, worüber da eigentlich im Bundestag – ohne Bindung an Parteivorgaben – so hart gerungen worden ist: Was früher Alltag war, das Sterben, ist mit den Errungenschaften der modernen Welt verdrängt worden. Der einzelne Mensch ist in den Blickpunkt gerückt. Er kann viel. Und trotzdem merkt man, dass der Mensch, gerade in Ausnahmesituationen, dennoch ein hilfsbedürftiges und manchmal schwaches Wesen ist.

Castellucci klärt den Ausgangspunkt: Hilfe zum Suizid ist, wie die Selbsttötung überhaupt, erlaubt. Es sei aber zu klären, woher man die Hilfe dazu bekommen und wie das gesetzlich geregelt werden kann. Es könne keine Lösung sein, dass jeder Mensch vom Arzt gewissermaßen vorsorglich ein Medikament verschrieben bekommt, das ihm bei Bedarf eine Selbsttötung ermöglicht. Es brauche eine Kontrolle. Denn in Ausnahmesituationen sei der freie Wille, den der Gesetzgeber bei einer solchen Entscheidung voraussetzt, nur noch eingeschränkt gegeben. Und eine akute psychische Krise müsse nicht grundsätzlich dauerhaft und unüberwindbar bleiben.

Castellucci sieht drei Kriterien für ein Gesetz zur Hilfe zur Selbsttötung: Grundsätzlich müsse es erlaubt bleiben, sich selbst zu töten und dazu auch Hilfe zu bekommen – wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Zweitens müsse der freie Wille erkennbar sein. Und drittens müsse die Hilfe zur Selbsttötung im Strafrecht geregelt werden. Andernfalls sei dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Sterbehilfevereine, die nach eigenen Regeln arbeiten und gar werben, müssten durch staatliche Kontrolle reguliert werden.

Andererseits müssten auch zum Beispiel die Kirchen anerkennen, dass der Staat die freie Entscheidung eines Menschen zu akzeptieren hat – und dazu gehöre eben auch die freie Entscheidung zum Suizid.

Castellucci leitet daraus zwei Aufgaben ab: Erstens, das Gesetz so zu fassen, dass es irgendwann eine Mehrheit im Bundestag findet. Und zweitens, alles dafür zu tun, dass Menschen die Verzweiflung genommen wird, und nicht gleich das ganze Leben.

Die anschließende Diskussion war von sehr persönlichen Gedanken sowohl der Zuhörer als auch des Vortragenden geprägt. Das Gesamtbild war klar: Es muss Möglichkeiten geben, wie Sterbenskranke oder Menschen in psychischer Ausnahmesituation – etwa durch chronische Krankheit oder Schmerzen – Hilfe finden können. Vorrangig Hilfe dazu, ein menschenwürdiges Sterben möglich zu machen. Aber auch dazu, ihrem Leben ein Ende setzen zu können, wenn es ihr Wille ist – in einer ebenso menschenwürdigen Art und Weise.

 


Foto: Boch

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