Mit „Dies irae“ und „Lacrimosa“ durchs Jahr
Für die Kantorei stand 2019 ganz im Zeichen von Mozarts Requiem
Wer in den letzten Monaten an einem Dienstagabend das Gemeindehaus betrat, konnte befremdliche Worte vernehmen – vorausgesetzt, er war des Lateinischen mächtig: Da wurde über diejenigen verhandelt, die den schrecklichen Flammen verfallen sind („flammis acribus addictis“), dem Wunsch Ausdruck verliehen, nicht in die Finsternis hinabzustürzen („ne cadant in obscurum“) – und ganz grundsätzlich ging es um die Frage, ob das Zeitalter zu Asche zerfällt („solvet saeclum in favilla“).
Es war die Walldorfer Kantorei, die da am Werke war und seit Jahresbeginn das berühmte Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart einstudierte, der diesen Texten der lateinischen Totenmesse durch seine Vertonung noch eine ganz eigene Wucht und Düsterkeit verleiht.
Und so stachelte Chorleiterin Andrea Stegmann die Sängerinnen und Sänger immer wieder an, nicht zu brav und bieder zu klingen, sondern dunkel und abgründig – was den Bässen erwartungsgemäß am leichtesten fiel.
Aber Mozart wäre nicht Mozart, wenn er sich in seinem Requiem nicht auch von seiner sensiblen Seite zeigte: In erster Linie im allseits beliebten „Lacrimosa“: Erst die Streicher, dann die Chorstimmen dürfen hier Töne gleichsam „hintupfen“ – der größtmögliche Kontrast zum „Dies irae“, einem Stück wie ein vertonter Wutanfall.
Hinter allem künstlerischen Ausdruck steckt aber erst einmal ganz viel Technik: Immer wieder muss die Chorleiterin einschreiten, wenn mal wieder die Töne unsauber angesetzt werden oder die Kantorei aus unerfindlichen Gründen langsamer wird, wo sie nur leiser werden soll.
Die Sängerinnen und Sänger haben dagegen oft ganz andere Probleme: Wer noch mit den Noten kämpft, hat gar keine Zeit, der Dirigentin die Aufmerksamkeit zu schenken, die die sich wünscht. Und oftmals dauert es Wochen, bis sich aus lauter geprobten Kleinteilen ein Gesamtbild ergibt.
Ein Werk von der Größe des Mozart-Requiems beschäftigt die Kantorei etwa ein Dreivierteljahr – was auch daran liegt, dass die Kantorei als Chor der Kirchengemeinde übers Jahr verteilt natürlich noch Verpflichtungen im Gottesdienst hat: Weihnachten, Karfreitag, Ostermorgen, Konfirmation und Ewigkeitssonntag sind in Walldorf traditionell Gottesdienste mit Kantorei – die „Pflicht“, wenn man so will. Konzerte wie das Requiem darf man dann als „Kür“ betrachten.
Und es gab in Walldorf schon einige beachtliche Küren zu hören: Vor drei Jahren Händels „Messiah“, 2011 Bachs Weihnachtsoratorium und zuvor 2007 schon die Johannes-Passion, um nur die ganz großen Events zu nennen.
Aber es ist insbesondere die Strahlkraft dieser Events, die immer wieder neue Sängerinnen und Sänger in die Kantorei lockt: Manchmal nur projektbezogen, für das bevorstehende Konzert, oft aber bleiben die „Neuen“ dann auch, wenn das Konzert längst vorbei ist.
Weit über 40 Sängerinnen und Sänger hat die Kantorei mittlerweile, aber seit sie zum Proben – dienstags um 20 Uhr – in den Saal umgezogen ist, stellt Wachstum kein Problem mehr dar – im Gegenteil: Jedes neue Gesicht muss damit rechnen, vom Plenum mit einem Applaus begrüßt zu werden.
Ergänzend zu den Dienstags-Proben gibt es dann jedes Jahr noch ein Proben-Wochenende, in den letzten Jahren immer auf der Ebernburg bei Bad Kreuznach. Im September war es wieder soweit; hier erhielt das Requiem den letzten Schliff.
Am 13. Oktober schlug dann die Stunde der Wahrheit: das Konzert! Alles monatelange Proben mündete dann in die eine Aufführung. Selbst erfahrenen Chormitgliedern ist die Anspannung dann anzumerken. Denn was nützen monatelange Proben, wenn man in der einen Aufführung patzt? – „Maßgebend ist auf‘m Platz“, würden die Fußballer jetzt sagen.
Aber als der letzte Ton verklungen war und in den Applaus des Publikums überging, da war allen klar: Es hat mal wieder sehr gut hingehauen!
Und was kommt jetzt? Die nächsten Auftritte der Kantorei stehen natürlich schon fest: Am dritten Advent im Rahmen eines Konzertes aller musikalischen Gruppen der Kirchengemeinde und am ersten Weihnachtstag im Gottesdienst.
Bericht: Dr. Johannes Franzkowski
Fotos: Andreas Ockert, Christiane Konstandin