„Erst will ich selbst die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen. Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen. Sonst glaube ich nicht!“
Joh 20, 25
Kein geringerer als einer der Jünger Jesu formuliert diese Worte, als seine Freunde ihm berichten, dass sie Jesus gesehen haben. Quicklebendig und ganz und gar nicht tot. Thomas wollte das nicht glauben, schließlich war Jesus doch erst vor ein paar Tagen am Kreuz gestorben und danach in einem Felsengrab beigesetzt worden. Er hatte tiefe Zweifel daran, dass Jesus auferstanden sein soll. Jesus selbst begegnet Thomas dann acht Tage später im Kreis der Jünger. Und es ereignet sich etwas Überraschendes: Jesus spricht Thomas direkt auf seine Zweifel an und lädt ihn ein, seine Wunden zu berühren. Es ist nicht überliefert, ob Thomas dies tatsächlich tut, aber seine Zweifel scheinen wie aufgehoben. Er bekennt vor dem Auferstandenen „Mein Herr und mein Gott!“, worauf Jesus ihm entgegnet: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!“
Wenn wir in diesen Tagen Ostern feiern, tun wir dies längst nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit, wie dies bei Generationen vor uns der Fall war. Die Ungläubigkeit des Thomas ist inzwischen der gesellschaftliche Normalfall. Und in den seltensten Fällen hebt sie sich durch eine Begegnung mit Jesu auf. Die Inhalte der christlichen Feste gehen verloren bzw. lösen sich bis zur Unkenntlichkeit auf. Das ist gar nicht als Vorwurf gemeint, ich nehme es einfach deutlich war. Die Kinder, die ich an einer Förderschule, aber auch an der „normalen“ Grundschule unterrichte, kennen die christlichen Feiertage allenfalls als Namensgeber der Ferienzeiten: Weihnachtsferien, Osterferien, Pfingstferien – und es braucht die ganze Grundschulzeit, bis wir gemeinsam erarbeitet haben, was sich hinter den Festen verbirgt. Ostern ist so das Fest, an dem man Schokoladeneier sammelt. Das ist schon einmal nicht schlecht, weil man spürt, dass das Fest in den Familien mit einem Ritual verbunden wird. Die Schokolade steht vielleicht für Lebensfreude. Aber im Grunde genommen ist es natürlich ganz schön armselig, denn die eigentliche Osterbotschaft, dass Gott seinen Sohn aus dem Tode auferweckt hat, fehlt völlig. Diese Botschaft ist und war ja auch nie leicht, wie es schon die biblische Reaktion des Thomas zeigt. Aber dennoch glaube ich, dass es sich lohnt, sich mit der Osterbotschaft auseinanderzusetzen und sie an die nächste Generation weiterzugeben, insbesondere an Kinder, wie ich sie in der Schule erlebe.
Die Osterfeiertage zeichnen sich für mich dadurch aus, dass sie einen Weg gehen, auf dem man sich selbst wiederfinden kann. Und zwar jedes Jahr anders, je nachdem, wo man sich selbst in seinem eigenen Leben gerade befindet.
Der Osterweg beginnt an Palmsonntag: Jesus zieht unter Jubel in Jerusalem ein, die Menge ist begeistert. Bereits im Hintergrund deutet sich anderes an: Die Mächtigen der Stadt sorgen sich um ihre Position. Der Weg geht weiter über Jesu bewusstes Abschiednehmen am Gründonnerstag mit seiner Enttäuschung darüber, dass treue Weggefährten sich von ihm abwenden oder gar eine gemeinsame Beziehung verleugnen. Es wird ein Urteil gesprochen, das die Fakten verdrängt und ausblendet. Am Karfreitag erleben wir einen brutalen Tod am Kreuz. Die Menge, die vorher noch jubelte, schaut zu bzw. fordert sogar den Kreuzestod. Jesus stirbt. Er wird sorgfältig und nach den Regeln der Kunst begraben. Drei Tage später dann das Unglaubliche: Das Grab ist leer. Der Auferstandene begegnet den Frauen, später den Jüngern. Die Nachricht verbreitet sich schnell.
Das, was geschieht, ist viel zu komplex, um es in wenige Worte zusammenzufassen. An Weihnachten ist dies viel leichter: Gott kommt in einem Kind zur Welt. Wir teilen die damit verbundene Hoffnung und Freude. An Ostern aber gilt, dass wir uns ein Stück weit mit uns selbst auseinandersetzen müssen. Dabei sind ganz unterschiedliche Fragen möglich, da es nicht „die“ Osterfrage gibt. Fragen könnten sein: Wo juble ich in meinem Alltag einfach mit und distanziere mich genauso schnell wieder, wenn der Jubel abbricht? Wo urteile ich vielleicht vorschnell (mit), um der Erwartung anderer zu entsprechen? An welchen Stellen habe ich einen Freund, Kolleginnen oder jemanden allein gelassen, als er oder sie eigentlich fest mit mir gerechnet hat. Solche Fragen sind unbequem. Sie fordern uns auf, wahrhaftig mit uns selbst umzugehen. In der Schule ist es erstaunlich, wie offen die Kinder mit solchen Fragen umgehen. Sie identifizieren sich mit Jesus, sie leiden mit ihm mit und finden so eigene Worte für das, worunter sie selbst leiden. Von hier aus kann dann auch der Blick auf Ostern gelingen. Denn an Ostern feiern wir, dass Gott stärker ist als der Tod. In und durch Jesus hat Gott dies gezeigt, indem er ihn schlussendlich hat auferstehen lassen. Dies geschah gegen alle Regeln des menschlichen Verstandes – bereits damals schon, wie es uns die Fragen des Thomas verdeutlichen. Die Auferstehung zeigt, dass durch Gott ein absoluter Neuanfang möglich ist, wo nach den Regeln des menschlichen Verstandes alles zu Ende schien. Die Auferstehung steht somit dafür, dass mit Gottes Hilfe alles, was wir für gesetzt halten, aufgehoben werden kann. Ja, ein Neuanfang, ein Sieg des Lebens über den Tod und alles Totmachende ist möglich, und das nicht nur am Ende unseres Lebens, sondern bereits hier und jetzt. Die Kinder in meiner Förderschule haben konkrete Ideen und Wünsche, an welchen Stellen sich Ostern in ihrem Leben ereignen möge. Sie wünschen sich weniger Streit in ihren Familien. Sie wünschen sich, dass kriegerische Auseinandersetzungen auf der Welt aufhören, da sie sie in ihrem jungen Leben bereits selbst erlebt haben, bevor ihre Familien mit ihnen nach Deutschland kamen. Es ist eine junge Generation auf der Suche nach Werten und Gemeinschaft. Und darum ist es unsere Aufgabe, ihnen die Inhalte unserer christlichen Feiertage wieder deutlich zu machen, indem wir uns selbst mit ihnen auseinandersetzen und sie gemeinsam leben und feiern.
Wibke Klomp, Pfarrerin