Zum Tode von Pfarrer Dieter Nesselhauf

 

Ein persönlicher Nachruf aus evangelischer Perspektive

Als ich im Jahre 1998 nach Walldorf kam, war die „Ära Nesselhauf“ bereits in vollem Gange, und die „Walldorfer Ökumene“ hatte ihren Höhepunkt in Gestalt zweier ökumenischer Abendmahlsfeiern gerade erreicht. Und obwohl ich diese beiden Events seinerzeit knapp verpasst hatte, versetzte mich diese besondere Art des ökumenischen Miteinanders in Walldorf schnell in helle Begeisterung. Warum? Weil in Walldorf ging, was anderswo nicht möglich war, natürlich. Aber es waren darüber hinaus auch die vielen kleinen Gesten, die den Unterschied machten, und das freundschaftliche, partnerschaftliche Miteinander der Konfessionen, das sich von der höflichen, aber letztlich doch distanzierten Haltung, die ich aus meinen bisherigen Gemeinden kannte, ganz wesentlich unterschied.

Freundschaftliches Miteinander: Das fing bei den Pfarrern an, die eine echte – nach ihrer Walldorfer Zeit anhaltende – Freundschaft verband, und setzte sich nahtlos fort über die Gemeindegremien bis in die vielen konfessionsverbindenden Familien, die die Ökumene brauchen wie die Luft zum Atmen. Und so war Dieter Nesselhauf für viele evangelische Walldorferinnen und Walldorfer weit mehr als der Pfarrer der katholischen Schwestergemeinde. Er gab uns die Gewissheit, dass wir alle eine ökumenische Familie sind. Dass es nebensächlich ist, ob man selbst evangelisch oder katholisch ist. Dass man sich in beiden Kirchen gleichermaßen heimisch fühlen kann.

Viele kleine Gesten: Das begann damit, dass Pfarrer Nesselhauf die Messe nicht einfach zelebrierte, sondern dass er sie feierte: Beim Ein- und Auszug strahlte er die Menschen an und grüßte in die Menge. Seine Predigten waren klug, durchdacht und auf den Punkt formuliert. Theologische Phrasen waren nicht sein Ding. Sein Vortrag lebte von den leisen Tönen – laut wurde er nur beim Fußball: Ich erinnere mich an das WM-Finale 2002, das wir im katholischen Pfarrsaal sahen, und der Lauteste im Raum war der Pfarrer. Beim Predigen hingegen war es ihm wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen, als auf alles eine Antwort zu haben. Unvergessen seine Angewohnheit, nach dem letzten Wort der Predigt sich ganz schnell auf seinen Hocker zurückzuziehen, wodurch eine längere Stille entstand, die der Gemeinde – und ihm vielleicht auch – Gelegenheit gab, das Gesagte sacken zu lassen.

Bemerkenswert war auch, was er nicht sagte. So gelang es ihm im Hochgebet zuverlässig, den Papst und den Bischof verbal zu umdribbeln, und die „selige Jungfrau und Gottesmutter Maria“ hieß bei ihm einfach „Maria“. Bei der Wandlung bimmelten keine Glöckchen, und die Kommunion nahm er – ziemlich evangelisch, könnte man sagen – nicht als Erster, sondern zuletzt, nach der Gemeinde. Die Gemeinde wiederum beantwortete seine guten Wünsche am Schluss mit einem kollektiven „Danke gleichfalls!“

Er hatte sich – man konnte es sich denken – theologische Freiheiten genommen, die ihm seine Kirche unmöglich gewähren konnte und wollte. So wurden ihm weitere ökumenische Abendmahle formell verboten, und an dieses Verbot hat er sich gehalten – weil er es musste. Was ihn aber nicht daran hinderte, evangelischen Messbesucherinnen und -besuchern die Kommunion zu reichen, nachdem er an sie gerichtet zuvor klargestellt hatte, dass er zwar formal keine Einladung aussprechen dürfe, es aber ja offensichtlich sei, dass „wir Christen alle der Stärkung bedürfen“.

Wie gut die Walldorfer ökumenische Familie harmonierte, zeigte sich besonders, wenn jemand von außen den Familienfrieden störte, so wie im Jahr 2000 der Kardinal Ratzinger mit seinem Pamphlet „Dominus Iesus“, das den Evangelischen absprach, eine Kirche zu sein. Diese Schrift wurde in Walldorf als eine Art römische Flegelei aufgefasst und gewissermaßen mit einem peinlich berührten Kopfschütteln bedacht. Der Katholische Pfarrgemeinderat hat damals darüber hinaus klargestellt, dass er die Evangelische Kirche weiterhin als Kirche betrachtet und sich eine liebevollere Wortwahl gewünscht hätte.

Pfarrer Nesselhauf hat uns in Walldorf für eine gewisse Zeit nicht nur gezeigt, sondern erleben lassen, wie Ökumene sein könnte – wie sie sein sollte – und wie sie ganz sicher irgendwann einmal sein wird! Diese Erfahrung kann uns niemand mehr nehmen. Und dafür bin ich und viele andere ihm unendlich dankbar. Und mehr noch: Falls es für eine Kirchengemeinde so etwas gibt wie ein kollektives Gedächtnis, so lebt er in unserem Gedächtnis weiter.

 

 


Foto: Klaus Ronellenfitsch

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