Reformationstag

Warum feiern wir seit über 500 Jahren noch den Reformationstag? Hat er nicht nur Spannungen in die Kirche gebracht, die wir auch nach vielen ökumenischen Bemühungen der letzten Jahrzehnte immer noch nicht überwunden haben? Wofür brauchen wir nach fünf Jahrhunderten noch unsere evangelische Ursprungserzählung nach der der Mönch Martin Luther 95 Thesen über Ablass und Gnade an das Tor der Wittenberger Schlosskirche genagelt hat? Ist diese besondere Erinnerungskultur heute noch wichtig?

Ich bin mir sicher: Ja sie ist es. Denn das was Luther stark gemacht hat gilt noch heute. Allein durch Gnade (sola gratia) sind wir in Gottes Augen so wie wir sind. Gerechtfertigt, in Ordnung, ok, annehmbar und somit: frei! Vor Gott sind wir keinen Zwängen unterworfen. Sich daran zu erinnern ist gerade in Zeiten wie unserer wichtig. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen die Unfreiheit beklagen, die die Coronamaßnahmen für sie bedeuten. Auch als Kirche sind wir von den politischen Entscheidungen und dieser Unfreiheit betroffen. In unseren Gottesdiensten verzichten wir auf Gesang, gemeinsam gesprochene Gebete, Sitzplätze sind begrenzt und nicht frei wählbar, die Dauer der Gottesdienste ist begrenzt. Es liegt nahe, dies als Zumutungen zu verstehen gegen die man protestieren müsste. Das tun wir als evangelische Gemeinde aber nicht!

Nicht weil wir systemkonform sind! Sondern weil wir unabhängig von unserem Handeln, von langen oder kurzen, vollen oder leeren Gottesdiensten, von Gesang und Abendmahlsfeiern, von lautem oder leisem Beten, ganz aus Gnade (sola gratia) das sind, was wir sind.

Wegen dieser durch Jesus Christus vermittelten gratia versteht sich die ev. Kirche als eine Kirche, die sich immer wieder erneuert und sich als eine sich stets erneuernde Kirche (ecclesia semper reformanda) den Veränderungen der spätmodernen Gesellschaft anpasst.

Plurale Lebensentwürfe, Singularisierung und damit einhergehende Traditionsabbrüche machen es nötig, dass wir Kirche/ Gemeinde neu denken und leben. Auch die Coronapandemie und die mit den Eindämmungsmaßnahmen verbundenen Einschränkungen machen neue Formen der Gottesdienste und des Gemeindelebens nötig.

Dabei geht es nicht um eine unreflektierte Hingabe an den Zeitgeist und die Beliebigkeit.

Eine Kirche der Reformation gestaltet diese Freiheit im Vertrauen (sola fide) auf die Begleitung von Gottes Geist und aus der Gnade des Schöpfers (sola gratia) heraus, die sich in Jesus Christus gezeigt hat (solus christus) und in der Bibel bezeugt ist (sola scriptura).

Reformationstag lädt nicht zum Schwelgen im Alten, sondern zum Fragen nach neuen Formen gemeindlichen Lebens heute ein. Erst recht in dieser Zeit.

Ich wünsche Ihnen einen guten und gesegneten Reformationstag. Und bleiben Sie gesund.

Ihr
Pfarrer Florian Volke

 

 


Foto:
Florian Volke

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