Punk Sieben: Freihandelsabkommen TTIP

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FREIHANDESLABKOMMEN TTIP
Anlass für Optimismus oder Grund zur Sorge?

 

Einmalige Chance oder Gefahr für Demokratie? Walldorfer Diskussionsforum „Punktsieben“ widmete sich Freihandelsabkommen wie TTIP.

Optimismus und Misstrauen standen sich beim „Streitgespräch“ über Freihandelsabkommen am 21. Februar 2016 gegenüber. „Punktsieben“, das Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, hatte dazu eingeladen, der Saal des evangelischen Gemeindehauses war voll besetzt und später entspann sich mit dem Publikum eine teils hitzige Diskussion.

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Mit „Insgesamt überwiegen die Chancen deutlich die Risiken“ trat der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Stephan Harbarth, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Kapitalmarkt- und Finanzrecht, Prozessführung und Schiedsverfahren, „in den Ring“.

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Demgegenüber argumentierte Wolfgang Kessler, Chefredakteur der christlichen Wochenzeitschrift „Publik Forum“, studierter Publizist, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler: Bei Abkommen wie TTIP „geht es ausschließlich um mehr Macht für die Wirtschaft über Politik und Bürger, um weniger Staat, um einen weltweit unregulierten Kapitalismus“.

Dabei fanden die beiden durchaus Gemeinsamkeiten: zum einen in ihrer Kritik an der Geheimhaltung. Kessler forderte Transparenz, auch Harbarth hielt – bei allem Verständnis, dass nicht alle Abgeordneten „mitverhandeln“ können – „die Einsichtmöglichkeiten in TTIP für unzumutbar“. Zum anderen waren sie sich einig, dass internationale Abkommen einen Ausgleich schaffen können zwischen den Einflussmöglichkeiten von global agierenden Konzernen und nationalen Gesetzgebern.

Kesslers Hauptkritikpunkt an TTIP, dessen „Blaupause“ CETA, dem bereits fertig verhandelten Freihandelsabkommen mit Kanada, und anderen Verträgen war nämlich, dass sie „Werkzeuge“ beinhalteten, „um die Demokratie auszuhebeln“. Hier verwies er insbesondere auf die privaten Schiedsgerichte. Beispiel Peru: Dort habe allein die Androhung von Klagen durch US-Konzerne verhindert, dass die Regierung neue Umweltauflagen zum Schutz ihrer Bürger erlasse.

Harbarth konterte mit einem Blick in die Geschichte: Kanzler Ludwig Erhard habe einst die Schiedsgerichte zum Schutz deutscher Firmen vor Korruption in anderen Ländern ins Leben gerufen. So hielten die USA – gestützt auch auf Gutachten der EU – die Justiz in Rumänien und Bulgarien für problematisch. Harbarth ergänzte, dass man die Schiedsgerichte durchaus etwa mit Bundesverfassungsrichtern besetzen könne, das sei ein offener Verhandlungspunkt. Die Gerichte entschieden nicht automatisch immer für Unternehmen. „Man sollte nicht den Eindruck erwecken, vorm Schiedsgericht kommt nur Quatsch raus, die Erfahrung rechtfertigt das nicht.“

Während Kessler einen nennenswerten Nutzen des Freihandelsabkommens bestritt, verwies Harbarth auf Prognosen zu mehr Wachstum, steigender Produktvielfalt, sinkenden Preisen und mehr Arbeitsplätzen. Doch das sei „nicht das Kernargument“, so Harbarth. Vielmehr drohe Europa weltweit an Bedeutung und Einfluss zu verlieren, etwa gegenüber Asien. Das bedeute, dass sich Europa nur jetzt die Möglichkeit biete, Standards in Verbraucher-, Arbeitnehmer- oder Umweltschutz für den Welthandel zu setzen. Wobei die Frage laute: „Sind unsere Standards die höchsten?“ Mit Blick auf Schadstoffgrenzwerte und Kontrollen von Abgasen meinte er, dass man das differenziert betrachten müsse und ein generelles Misstrauen gegenüber den USA unangebracht sei. Die Bundesregierung habe das Ziel, „das jeweils höhere Schutzniveau zu etablieren“ (dass sich die Politik das traut, bezweifelte Wolfgang Kessler). Sorgen wie der Privatisierung der Trinkwasserversorgung trat Harbarth entgegen: „Die kommunale Daseinsvorsorge soll im gleichen Umfang wie bisher bei den Kommunen bleiben.“

Gegen Harbarths Kernargument setzte der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler den eigentlichen Zweck jedes Freihandelsabkommens: „den Freihandel zu entfalten“, was notwendigerweise weniger Regularien bedeute. Am Beispiel von hormonbehandeltem Fleisch erklärte Kessler, er argwöhne, dass dann Waren aus den USA mit niedrigeren Standards in der EU billiger auf den Markt kommen, woraufhin hiesige Produzenten Druck auf die Politik zur Senkung der Standards ausüben würden.

Kessler betonte, dass er Abkommen wie TTIP als „Instrumente des vergangenen Jahrhunderts“ ansehe, mit denen man heutige Probleme gar nicht angehen könne. TTIP spreche weder die Schere zwischen Arm und Reich noch Klimaschutz oder nachhaltige Wirtschafts- und Produktionsmethoden an.

Harbarth gab zu bedenken, dass TTIP noch nicht ausverhandelt sei. Während des Ratifizierungsprozesses, der nicht Monate, sondern sicher Jahre dauern werde, könne jeder Abgeordnete sich einarbeiten und dann frei entscheiden.

Quelle: seb / www.punktsieben.org | Fotos: Christoph Dressler

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